Wie lebendig eingemauert
„Das, was ich euch erzählt habe, hätte Sonny euch am liebsten selbst erzählt!“ Matthias Thoma, der Leiter des Museums von Eintracht Frankfurt, berichtete als Zweitzeuge in der Bischof-Neumann-Schule über das Leben, Überleben und Wirken von Helmut „Sonny“ Sonneberg (1931-2023), jüdischer Holocaust-Überlebender, leidenschaftlicher Eintracht-Fan und Ehrenmitglied des Vereins. Zweitzeugen sind Menschen, die die Geschichte von jemandem erzählen, der sie selber nicht mehr erzählen kann. „Die Zeitzeugen sterben aus, umso wichtiger ist es, dass es die Zweitzeugen gibt“, begrüßte Dr. Marc Fachinger vom Zeitzeugenprojekt des Bistum Limburg die Schülerinnen und Schüler der E-Phase. Die Zweitzeugen kannten nicht nur den Zeitzeugen, sondern bringen auch ihre eigene Perspektive mit, so dass es neben einer Mischung aus Daten und Fakten auch stets eine emotionale Annäherung gebe, so Fachinger.
Späte Aufarbeitung
Erst 2018 hatte Sonny Sonneberg seine Verfolgungsgeschichte und seine Zeit in Theresienstadt über die Eintracht aufgearbeitet, mit Frau und Tochter hatte er zuvor nie darüber geredet. Als seine Schwester erkrankte und Peter Fischer, der Ehrenpräsiden von Eintracht Frankfurt, sich öffentlich von der AfD distanzierte, kam der Riederwald-Rentner Sonny, der gerne beim Training der Profis zuschaute, auf Thoma zu und meinte: „Matthias, da kann ich dir auch einiges zu erzählen!“ Er berichtete dem Museumsleiter von seiner jüdischen Mutter, dem Vater, den er nie kennengelernt hatte, seine einsame Kindheit nach der Reichspogromnacht und schließlich von seiner Deportation nach Theresienstadt. Mit über 80 Jahren reiste er gemeinsam mit einer Delegation seines Vereins nach Theresienstadt und trat in seinen letzten Lebensjahren als Zeitzeuge auf. Das, worüber er vorher mit niemandem reden wollte, konnte er schließlich doch noch mit seinem Verein aufarbeiten.
Nach dem Krieg wurde die Eintracht „sein Verein und seine Familie“. Er spielte in verschiedenen Mannschaften, besuchte Fußballspiele und Wettkämpfe anderer Abteilungen und half in der Eishockeyabteilung bei Spielen in der Radrennbahn als Zeitnehmer mit. Berühmt wurde Sonny, als er 1959 mit Fahne und Zylinder nach Berlin reiste, um mit der Eintracht den Gewinn der Deutschen Meisterschaft zu feiern. „Bei der Eintracht war das nie ein Thema, der Glaube“, sagte Sonny einmal in einem Interview. Wie sehr die Eintracht für ihn Heimat war, zeigte sich, als er ein Interview bei Markus Lanz absagte, weil sein Verein im Europapokal Halbfinale gegen West Ham United antrat. Vor allem in der Fanszene war er deshalb ein „von allen akzeptierter Mahner“, so Thoma. Und weiter: „Er gehörte zur Belegschaft der Eintracht dazu, auch wenn er kein Mitarbeiter war.“
Im Film kommt Sonny zu Wort
Beeindruckend war auch ein kurzer Filmeinspieler, in dem Sonny dann doch selbst zu Wort kam. „Ich war wie lebendig eingemauert“, erzählte er da von seiner Kindheit. „Ich durft ja wegen dem gelben Ding nicht uff die Straß.“ Von heimlichen Kinobesuchen und seiner fehlenden Schulbildung berichtete Sonny. Warum er den Davidstern nicht einfach abgemacht habe, wenn er ins Kino wollte, und was aus seiner Mutter nach der Rückkehr aus Theresienstadt geschah, wollten die Schülerinnen und Schüler unter anderem am Ende der Begegnung wissen, die von Fachbereichsleiter Patrick Seiler geleitet wurde.
Auch wenn abends das schon seit Monaten erwartete EM-Eröffnungsspiel der deutschen Mannschaft anstand, drehte sich am Vormittag in der Bischof-Neumann-Schule alles um Eintracht Frankfurt. Neben zahlreichen 16- und 17-Jährigen der E-Phase bekannte sich auch Schulleiter Jens Henninger als Eintracht-Fan. Extra für die Begegnung mit Thoma hatte er sogar die Vereinsfahne auf dem Schulgelände hissen lassen.