Gedenken an die Pogromnacht am 9. November 1938 in Hofheim und Flörsheim
Ansprache zur Gedenkfeier am 09. November in Hofheim von Carol Wanske, kath. Vorsitzende der CJZ Main-Taunus
Meine Damen und Herren,
Überschattet wird unser Gedenken von dem menschenverachtenden Terror und der Gewalt, die von der Hamas ausgehen. Wir stehen an der Seite Israels und wir trauern um die unschuldigen Menschen, die Opfer der Gewalt geworden sind. Wir sind über die antisemitischen Reaktionen hier in unserem Land zutiefst erschüttert. Und wir bekennen uns zu unserer Verpflichtung, Antisemitismus in jeder Form zu bekämpfen.
Der Antisemitismus ist leider ein Faktum, das quer durch unsere Gesellschaft reicht. Die Gefahr einer schleichenden Akzeptanz antisemitischer Einstellungen ist nicht von der Hand zu weisen. Ob jemand antisemitisch ist, ist weder eine Frage der politischen Orientierung noch des Bildungsstandes. Es gibt Antisemiten in den Chefetagen, an den Universitäten, in den Kirchen und in Sportverbänden. Es kann sein, dass ein katholischer Christ antisemitisch ist, ein Muslim nicht, der Facharzt antisemitisch ist, der Hilfsarbeiter nicht.
Ich persönlich verstehe nicht, wie man antisemitisch sein kann. Nach meiner Meinung stammen die Erklärungen dafür aus dem Gruselkabinett des Mittelalters oder sind einfach bekloppt. Damit will ich die schrecklichen Auswirkungen dieser Gesinnung nicht verharmlosen. Und in den Wochen seit dem grausamen Überfall der Hamas auf Israel vermischt sich der Antisemitismus mit der postkolonialistischen Theorie.
Ein wichtiges Element des Antisemitismus ist die Entpersonalisierung.
Vor einigen Wochen saß ich in meinem Auto an der Kreuzung Elisabethenstraße/Schmelzweg aus Richtung Zeilsheim kommend. Es war kurz vor der Landtagswahl und es hingen überall Wahlplakate der Parteien. Ganz oben an einem Pfosten hing ein Plakat, auf dem stand: „Weil wir für Euch sind, sind sie gegen uns“. Man fragt sich, wie es möglich ist, dass man Derartiges im Deutschland des 21. Jahrhunderts als Wahlplakat zu lesen bekommt. Wer sind „ihr“ , wer sind „sie“? Die Leser des Plakats werden eingeladen, die nicht näher definierten gegnerischen Personenkreise entsprechend ihren persönlichen Vorurteilen und ihrem Hass auszulegen. Die somit ausgemachten Gegner werden für tatsächliche oder angebliche Missstände schuldig gemacht.
Es ist die Absicht hinter solchen Parolen, dass die designierten Schuldigen ihre Persönlichkeit, ja ihr Menschsein verlieren. Sie sollen namenslos werden. Umgekehrt dürfen sich die selbsternannten Opfer in der Anonymität der Gruppe verstecken. Somit müssen sie nicht persönlich Rede und Antwort stehen für ihr Verhalten.
Diese Taktiken sind seit jeher beliebte Mittel der Demagogen. Und sie wurden besonders effektiv und perfide im November 1938 eingesetzt. Die Opfer des Nazi-Terrors am 09. November 1938 sollten ihres Menschseins beraubt werden. Das machte es den als Mob auftretenden Tätern einfacher, sie zu schikanieren, zu verprügeln und ihre Häuser und Geschäfte auszuplündern und zu zerstören, denn sie sollten als so genannte „Unmenschen“ für vermeintliche Ungerechtigkeiten gegen das deutsche Volk verantwortlich gemacht werden.
Die Nazis, die eigentlichen Unmenschen in jener Zeit, haben die Opfer ihres Terrors entrechtet, sie haben versucht, diese Opfer namenslos zu machen.
Was bedeutet dies für uns heute, was können wir heute tun? Das ist nicht schwer und jeder kann einen eigenen Beitrag leisten. Zunächst und immer wieder müssen wir in Dialog miteinander treten als Mitglieder dieser Gesellschaft, denn als Mitglieder der Gesellschaft stehen wir in einer Beziehung zueinander. Solange wir ausschließlich in Gruppenkategorien denken im Sinne von „die da“, werden wir nicht differenziert und menschlich aufeinander zugehen können, einander kennenlernen und unsere Vorurteile abbauen. Dafür brauchen wir keine Förderprogramme und Großprojekte. Einfach machen. Jeder Einzelne von uns.
Heute Abend ehren wir die Opfer der Reichspogromnacht, indem wir ihre Namen sagen. Aber wir ehren sie auch, indem wir jeder Hassbotschaft, und soll sie noch so scheinbar harmlos daherkommen, mit allen demokratischen Mitteln bekämpfen.
Hofheim. - Mit dem Geläut der Glocken der Kath. Pfarrkirche St. Peter u. Paul und der Ev. Johanneskirche beginnt das Gedenken an die Pogromnacht am 9. November 1938, 18:00 Uhr an der Mauer der ehemaligen Synagoge im Namen des Magistrats der Stadt Hofheim, des Main-Taunus-Kreises, der Kirchengemeinden in Hofheim, des Ev. Dekanats Kronberg und des Kath. Bezirks Main-Taunus, der Buürgervereinigung Hofheimer Altstadt, der Main-Taunus Schule und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Main-Taunus-Kreis.
Wir gedenken der ermordeten Jüdinnen und Juden hier in Hofheim und im Main-Taunus-Kreis - der zerstörten Synagogen und Versammlungsorte, der Wohnungen, Geschäfte und Einrichtungen. Auschwitz, Theresienstadt, Buchenwald, Dachau und Babyn Jar sind einige der Orte des Grauens, die wir nicht vergessen dürfen. Der fürchterliche Krieg in der Ukraine erinnert uns Tag für Tag daran, wie wichtig unser gemeinsames Engagement für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden ist. Zur Erinnerung an die vertriebenen und ermordeten Juden des Main-Taunus-Kreises stellen wir Kerzen und ein Blumengebinde an die Mauer der ehemaligen Synagoge und unter die Gedenktafel mit den Namen der Opfer.
Bei schlechtem Wetter findet die Gedenkfeier im Stadtmuseum statt.
Im Anschluss laden wir dort zum Konzert ein.
Flörsheim. - Am Donnerstag, 9. November 2023 findet an der ehemaligen Synagoge (Synagogengasse, Flörsheim) von 18:00 bis 19:00 Uhr eine Mahnwache statt.
In einer Zeit des wieder zunehmenden Antisemitismus, ob als traditioneller oder Israel bezogener Antisemitismus und auch erschreckend hohen Anteilen an antisemitischen Vorfällen im Sport, wird der „Antisemitismus im Sport“ und dessen Bekämpfung thematischer Mittelpunkt diese Mahnwache sein.
Die musikalische Begleitung wird gestaltet von Roman Kuperschmidt.